Interview mit Ultraschön/Ultrapeinlich

| |

Immer wieder wird über Ultras und ihre Aktionen in der Öffentlichkeit diskutiert. Meist wird deren Kultur jedoch nur oberflächlich behandelt. Das Kollektiv hinter „Ultraschön/Ultrapeinlich“ geht einen anderen Weg. Sie dokumentieren und diskutieren viele Ultra-Aktionen. Wir haben uns mit ihnen über Kollektivstrafen, eine Zukunft ohne Diskriminierung und den Grund für ihre Anonymität unterhalten.

Inside 11: Hallo! Ultrapeinlich gibt es nun seit 2014. Die von euch geteilten Aktionen sogenannter „Fans“ sind selten etwas für schwache Nerven. Sie sind meist schlicht menschenverachtend. Warum setzt man sich so intensiv mit diesen Menschen auseinander? Zweifelt man nicht irgendwann an seinen Mitmenschen?

Ultraschön/Ultrapeinlich: Wir finden es wichtig diese Menschen in einen kritischen Fokus zu rücken und Fußballfans für bestehende Probleme zu sensibilisieren. Wir finden das nicht nur im Fußball wichtig, denn es sollte sich gesamtgesellschaftlich mit solchen Problemen auseinandergesetzt werden. Eine solche Reflexion findet nicht immer von alleine statt, daher benötigt es manchmal ein gesondertes Aufzeigen von Verfehlungen.

Da wir selbst allesamt einen Fußball-Background haben, ist das für uns ein naheliegendes Aktionsfeld, um uns zu betätigen. Sicherlich führt es nicht bei jedem zum Umdenken, dennoch dürfte es hin und wieder für Denkanstöße gut sein und eine Diskussion anregen. Wir würden uns aber natürlich auch selbst nicht als unfehlbar ansehen.

[scd_box title=“ÜBER ULTRASCHÖN/ULTRAPEINLICH“ radius=“0″]Mittlerweile sind Ultras fester Bestandteil (fast) aller Fanszenen in Deutschland. Ultras stellen ihren Verein in den Mittelpunkt ihres Lebens, engagieren sich in der Fanszene und sorgen für Stimmung in der Kurve. Manche Ultra-Gruppierungen äußern sich mit Plakten, Spruchbändern oder Gesängen. Das Kollektiv Ultraschön/Ultrapeinlich hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Aktionen zu archivieren und zu bewerten.[/scd_box]

Inside 11: Befürchtet ihr, mit eurer Seite den Urhebern solch geschmackloser Aktionen eine Bühne zu bieten?

Ultraschön/Ultrapeinlich: Diese Gefahr besteht sicherlich und dementsprechend versuchen wir abzuwägen, auf welcher Plattform wir den Vorfall dokumentieren. Während wir in unserem Archiv auf tumblr versuchen, möglichst alle Vorfälle aufzunehmen und diese über Twitter teilen, landen auf Facebook nur Beiträge deren Verbreitung wir als besonders wichtig erachten.

Es kommt immer wieder vor, dass Aktionen, die wir thematisieren, auch verhöhnend und feiernd aufgegriffen werden. Das lässt sich leider nie vermeiden, doch wir denken, es ist wichtiger dies zu thematisieren, als es am Ende nicht zu erwähnen.

Inside 11: Die Sperre der Südkurve des BVB gegen Wolfsburg wurde unter anderem mit beleidigenden Plakaten begründet. Ist eine solche Kollektivstrafe überzogen?

Ultraschön/Ultrapeinlich: Letztlich soll es ja darum gehen ein Umdenken zu erreichen, eine Kollektivstrafe erscheint uns dabei ein äußerst fragwürdiges Mittel zu sein. Zudem wird eine Großzahl an Fans bestraft, die entweder gar keine Spruchbänder hochhielten oder nur welche, die RB Leipzig im „normalen“ Rahmen kritisierten.

Eine solche Art der kollektiven Bestrafung darf nicht Normalzustand werden, sonst wird ein solches Instrument am Ende dafür genutzt, um alle unbequemen Positionen aus Fankurven zu vertreiben. Abgesehen davon, dass man in der Höhe von Sanktionierungen durch den DFB leider viel zu oft den Eindruck von Willkür gewinnt, erscheinen sie derzeit eher als ohnmächtiges Instrument der Bestrafung.

Wie man aus der Vergangenheit mittlerweile gelernt haben sollte, erzielen diese Strafen jedoch kaum bis gar keine Wirkung. Es sollte also darum gehen Sanktionierungsmethoden zu hinterfragen und zielorientiert anzuwenden. Wenn Geldstrafen in die Arbeit von Fanprojekten oder antidiskriminierende Arbeit fließen, ist das für uns immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.

Inside 11: Im Zuge der letzten Jahre kam es im Internet immer mehr zu einer Verrohung des politischen Diskurses. Beispielsweise scheint es mittlerweile diskutabel zu sein, den Begriff „völkisch“ wieder positiv besetzen zu wollen. Teilt ihr diesen Eindruck? Habt ihr diese Verrohung auch in den Kurven beobachten können?

Ultraschön/Ultrapeinlich: Denkt man an die 80er-Jahre zurück, kann man wohl kaum von einer Verrohung des politischen Diskurses in Fußballstadien sprechen, eher Gegenteiliges dürfte der Fall sein. Dazu hat sicherlich auch die Erfolgsgeschichte der Ultrabewegung beigetragen.

Grade im deutschsprachigen Raum sind mittlerweile Ultras mehrheitlich (zumindest) antirassistisch eingestellt. Die Ultras sind dahingehend zum größten Teil ein positiv regulierendes Moment. Im Gegensatz dazu lässt sich jedoch eine Verrohung von Gewalt beobachten. Diese findet mittlerweile auch fernab von Spieltagen statt und geht beispielsweise bei sogenannten „Hausbesuchen““ bis in die Privatsphäre.

Derzeit beobachten wir mit Sorge eine Radikalisierung eines Teils der Ultraszene, der einen sehr starken Fokus auf Gewalt legt. Das Ausleben dieser Kurvenkultur sollte auch in eben diesen Kurven bleiben und nicht die Straße fokussieren.

Inside 11: Wie sollte man gegen Fangruppierungen vorgehen, die ihre diskriminierenden Weltbilder auf der Bühne Fußball verbreiten wollen?

Ultraschön/Ultrapeinlich: Besonders wichtig erscheint uns hierbei die Isolation einer solchen Gruppe. Denn unter dem Mantel des „Eine Szene, Alle für XY“-Gedankens werden diese Positionen viel zu oft geduldet und es besteht eine hohe Gefahr, dass sie darüber hinaus an Anschlussfähigkeit gewinnen.

Eine grundsätzliche Sensibilisierung gegenüber menschenfeindlichen Positionen erscheint uns zudem äußerst förderlich, um diesen vorzubeugen und im Zweifelsfall diese benennen und dagegen vorgehen zu können. Außerdem ist es immer sinnvoll, wenn Vereine in ihrer Fanarbeit bedenken, dass auch die
jugendlichen Menschen in der Kurve aufgeklärt werden sollten.

Eine solche Bildungsarbeit führt meist zum Verständnis der Thematik und sorgt dafür, dass der Nährboden für Diskriminierung kleiner wird. Ein Verein muss sich nicht nur als Anbieter verstehen, sondern auch klar seiner sozialen Verantwortung bewusst sein.

Inside 11: Neben Ultrapeinlich habt ihr 2015 den Blog Ultraschön gestartet. Ein Ausgleich für die fordernde Auseinandersetzung mit diskriminierendem Gedankengut auf Ultrapeinlich?

Ultraschön/Ultrapeinlich: Uns war sehr wichtig aufzuzeigen, dass wir nicht nur mit einem mahnenden Zeigefinger auf die Ultrakultur blicken. Mittlerweile findet man in den allermeisten Fanszenen Menschen mit einer antidiskriminierenden Grundhaltung.

Wenn diese dann auf Spruchbändern, Choreos oder Stickern nach außen getragen wird, möchten wir dies supporten und dokumentieren. Wir finden die Kultur faszinierend und möchten so auch anderen Fans zeigen, was alles möglich sein kann während der 90 Minuten an jedem Wochenende und auch darüber hinaus.

Inside 11: Wie lang braucht ihr, um eine Aktion zu evaluieren? Bei welchen Aktionen habt ihr euch in der Bewertung sehr schwer getan?

Ultraschön/Ultrapeinlich: Das ist von Aktion zu Aktion sehr unterschiedlich, wobei wir im Regelfall schon recht schnell entscheiden können, da die meisten Statements recht eindeutig sind. Schwierig war es erst kürzlich beim Spruchband von Ultra Sankt Pauli im Spiel gegen Dresden: „Schon eure Großeltern haben für Dresden gebrannt – gegen den deutschen Opfermythos!“ war darauf zu lesen und wurde uns vielfach eingesendet.

Uns war allerdings bewusst, dass die Intention des Spruchbandes, neben der Provokation, eigentlich eine ultraschöne ist. Schließlich griff man damit kritisch den deutschen Opfermythos auf, welcher in Dresden stark verbreitet ist. Dennoch empfinden wir die pauschalisierende Formulierung im ersten Teil des Spruchbandes unglücklich gewählt und haben deshalb in einem ausführlichen Text dargelegt, warum wir das Spruchband nicht bei Ultraschön dokumentieren.

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, aus Spruchbändern das herauszulesen, was gemeint ist, wenn es nicht eindeutig offensichtlich wird. Daher kann es immer wieder auch bei anderen Aktionen dazu kommen, dass wir unterschiedlicher Meinung sind. Aber das passiert vergleichsweise wenig, da es schon nach den paar Jährchen eine gewisse Routine gibt.

Inside 11: Befürchtet ihr „Rache-Aktionen“, die euch persönlich Schaden zufügen könnten?

Ultraschön/Ultrapeinlich: Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir uns mit unserer Arbeit nicht gerade überall beliebt machen. Deshalb ist es für uns äußerst wichtig, anonym agieren zu können.

Inside 11: Habt ihr bereits Nachrichten von Menschen bekommen, denen ihr die Augen geöffnet habt, sprich die nicht mehr an menschenverachtenden Aktionen im Umfeld des Fußballs teilnehmen wollen?

Ultraschön/Ultrapeinlich: Eine konkrete Nachricht in der uns gedankt wird, dass wir zum Umdenken beigetragen haben, fällt uns so spontan nicht ein. Allerdings kommt es häufiger vor, dass uns gedankt wird, wenn wir auf spezielle Dinge aufmerksam machen. Wenn es zu anregenden Diskussionen kommt – sei es auf unserer Seite oder woanders – ist das aber wichtiger, weil das die Intention ist, die wir erreichen wollen.

Inside 11: Wird diskriminierendes Gedankengut jemals komplett aus dem Stadion verschwinden?

Ultraschön/Ultrapeinlich: So lange diskriminierendes Gedankengut gesellschaftlich verankert ist, wird es auch in Stadien vorzufinden sein. Jedoch bietet das Stadion auch sehr viele Möglichkeiten, positive Impulse zu setzen. Sei es durch Kurvenaktionen, Bildungsarbeit oder ähnliches. Daher ist dieser Raum von größter Wichtigkeit und es gilt ihn nicht zu vernachlässigen, wie es bis hin in die 2000er-Jahre viel zu lange passiert ist.

Inside 11: Was plant ihr für die Zukunft?

Ultraschön/Ultrapeinlich: Wir haben zwar immer wieder pfiffige Ideen, aber haben nun kein konkretes Projekt, welches es neu anzufangen geht. Eine Etablierung als Informationsplattform ist erstmal im Fokus, um mehr Menschen zu erreichen.

Inside 11: Viel Erfolg dabei und vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Philip Hell exklusiv für Inside 11.

Vorheriger Artikel

Süle & Rudy zu Bayern: Ziemlich perfekt

Eine Liebeserklärung an Schweinsteiger

Nächster Artikel

Schreibe einen Kommentar